Auf „Eos“ folgt „Boreas“, der winterliche Nordwind. Das Motiv ist unheimlicher und weniger episch als das des Openers, und so gelingt es der Band, ihr mythologisches Narrativ in die Musik zu übersetzen – ein Anspruch, dem leider nicht alle Konzeptalben gerecht werden. Der Sound bleibt unverändert energisch und gewinnt noch an akustischer Weite. Hörer und Hörerin dürfen sich jetzt wirklich darauf verlassen, dass da etwas Großes vor sich geht. Sehr gut funktioniert die verzerrte Gitarre, die mit einer nahezu fröhlich anmutenden Lead-Melodie im (Liebes-)Kampf liegt – ein weiteres Zitat auf die dualistische Passion? Kurz scheint „The Great Cold“ nun ganz und gar im Post-Rock beheimatet, ehe der Sound wieder druckvoll anwächst. Auch wenn jeder Track durch seinen immanenten Spannungsbogen glänzt, sei noch das längste Stück der Scheibe, „Orphne“, erwähnt. Hier treiben uns The Great Cold einer düsteren Nymphe in die Arme, nehmen Tempo auf und verzichten kurz gänzlich auf nahbare Harmonien – etwas mehr „Black“ zum „Metal“, falls man darauf gewartet hat. Schade ist nur das gar so abrupte Ende nach dem finalen Track. Andererseits liegt die Vermutung nahe, dass die Band vom Outro, das so gefährlich schnell ins Klischeehafte gleitet, bewusst Abstand genommen hat. Wer sich im Post- und Atmospheric Black Metal zuhause fühlt und dabei auch gut auf Vocals verzichten kann, möge sich dieses feine Album nicht entgehen lassen. Dem Marburger Quartett gelingt es, ein durchkomponiertes und stimmungsvolles Werk von konstanter Qualität abzuliefern. Musikalische Plattitüden, die man „so, nur anders“ schon zigfach gehört hat, bleiben aus. Da wir es mit einem Konzeptalbum zu tun haben, sei auch die herrliche Cover Art von Sven Nieder erwähnt: Beinahe zu ätherisch, um noch natürlich zu sein, aber nicht pathetisch wirkt die monochrome Aufnahme einer stürmischen See und einer gleißenden Sonne. Mythisch und unfassbar bleibt die Natur. FAZIT: Sehr atmosphärisches Konzeptalbum, vorrangig beheimatet im Post Metal, das durch so melodische wie frenetische Kompositionen überzeugt und über 8 stimmige Tracks nichts an Qualität einbüßt. Für Genre-Fans ein unbedingter Anspieltipp – und hoffentlich ein Präludium für mehr von „The Great Cold“. Ich traue mich und vergebe Höchstpunktezahl.
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