Fragen: Jürgen Winterheller | Antworten: Seuche | Übersetzung: - | Datum: 05.08.2010
Salve Seuche!
Lange hat es leider gedauert bis dich diese Zeilen erreichen, verlieren wir nunmehr somit keine unnötige Zeit mehr und legen gleich los. Herzliche Gratulation zu all deinen bisherigen Veröffentlichungen, die allesamt eine ungemeine Intensität ausstrahlen – so viel Zeit muss sein.
Fängt ja schon mal gut an!
FÄULNIS kehrt das dunkle Innerste der Menschen ans Tageslicht, stellt all die
Grausamkeiten und die Negativität zur Schau und polarisiert deswegen auch ungemein. Waren genau das die Gründe, die 2003 der Band die Lebensberechtigung zusprachen? Wenn nicht, was dann?
Oh man, gute Frage, Du legst aber auch gleich richtig los! Ich nehme Deine Frage mal auseinander, ob das Ergebnis einer Antwort gleich kommt, sehen wir ja dann.
Grausamkeit und Negativität: Mit Abstrichen so zu unterschreiben, aber wie ich es ja immer wieder gerne wiederhole, FÄULNIS thematisiert im speziellen das Grau des oder meines Lebens: Es ging mir von Anfang an um eine vor allem nachvollziehbare und ungeschönte, bzw. unverfälschte Darstellung von negativen Lebensumständen und den Versuch, diese Mittels Musik und Text möglichst ohne Verlust zu transportieren. Um es auf den Punkt zu bringen, wenn „Cholerik – Eine Aufarbeitung“ eine Lebensberechtigung hat, dann die, auf eine ziemlich merkwürdige, aber selbst für mich faszinierende Art und Weise ein bestimmtes, zu der Zeit für mich lebensbestimmendes Gefühl zu transportieren. Musikalisch roh, chaotisch und wohl auch gut dilettantisch, atmosphärisch allerdings äußerst... ja, und da hast Du dann Deine Polarisierung. FÄULNIS war also der Versuch, möglichst exakt und ohne BM-spezifischen Glamour das wirklich tragische der Schattenseiten des Lebens zu beleuchten – die sich in meinem Fall durch eine oftmals einfach siechende Monotonie und Bewegungslosigkeit auszeichnen.
Nach dem ersten Demo und den beiden EPs erfolgte der Startschuss zu einer Trilogie, die nunmehr zu 2/3 abgeschlossen worden ist. Auffällig ist die Tatsache, dass sich seit dem Beginn an nicht nur die Musik, sondern auch die Lyrics einer schrittweisen Metamorphose unterzogen haben, die sich passenderweise (aber wahrscheinlich nicht gerade beabsichtigt) auch im Bandnamen widerspiegelt. War diese Ausrichtung von vornherein geplant, hat sich alles einfach so ergeben oder ist dies lediglich meine ganz subjektive Sicht der Dinge?
Die Trilogie begann bereits mit „Cholerik“, also dem ersten Demo. Die Metamorphose nennt sich schlicht Weiterentwicklung. „Cholerik“ beinhaltete meine ersten ernsthaften musikalischen Gehversuche überhaupt, danach habe ich mich einfach intensiver mit der ganzen Materie auseinandergesetzt. Außerdem wollte ich mit jedem neuen Album neue Sachen ausprobieren und mich nicht selbst wiederholen.
Wie bist du persönlich mit dem bisherigen musikalischen Verlauf zufrieden und
würdest den momentanen Stand der Dinge kommentieren? Wurden alle selbst gesteckten Ziele erreicht?
Mein Songwriting ist besser geworden, textlich kämpfe ich immer noch um jede Zeile. Ziele hatte ich keine, wenn, dürfte FÄULNIS allerdings weit über jede bescheidene Hoffnung hinausgewachsen sein. Guter Zeitpunkt, alles zu beenden!
Das Cover zu „Kommando Thanatos“, mit der wehenden Flagge, weckt in mir Erinnerungen an „große“ amerikanische Ereignisse. Zum einen die Mondlandung und zum anderen die Eroberung von Iwo Jima. Andererseits kann man auch einfach sagen: Die Zeichen stehen auf Sturm. Hatte diese Scheibe für dich denselben Stellenwert eines Aufbruches in eine neue Ära?
Interessanter Gedanke, wirklich! Ist mir so nie in den Sinn gekommen. Ich glaube aber, „Kommando Thanatos“ hat im Vergleich zu meinen anderen Veröffentlichungen tatsächlich viel Pathos und „Sturm“. Allerdings sehe ich alles bisher veröffentlichte als eine einzige, zusammenhängende Ära an, wobei „K.T“ sehr wichtig als Vorbereitung auf „Gehirn zwischen Wahn und Sinn“ war. Bei dieser EP ist alles schief gegangen, was hätte schief laufen können, ich habe also ziemlich viel aus der Geschichte ziehen können, Fehler, die ich danach nicht noch einmal gemacht habe. Das Cover stammt übrigens von Sperber Illustrationen und basiert entfernt auf einem Bild, welches ich mal auf einer chinesischen Kunst-Ausstellung gesehen habe. Wobei, wenn ich darüber nachdenke, ein entscheidender Punkt kam mit „K.T.“: Unter Einbindung von „Letharg“ und „K.T.“ als sein Schlusswort, habe ich mich ab „K.T.“ ganz explizit gegen diese dämliche DSBM-Kasperkacke-Trendschublade ausgesprochen, in die man FÄULNIS ja so gerne steckt. Ein aussichtsloses Unterfangen, offenbar mache ich Musik, die ich selber scheiße finde. Ah, höre gerade nebenbei Funeral „Beyond all sunsets“, dagegen kann wirklich mal 99% der kompletten Depri-Schiene einpacken!
Auf „Das Portrait eines psychischen Totalausfalles“ sind Passagen vertont die im Stile eines Nachrichtensprechers erklingen. Wie wichtig sind dir deine Texte? Sollen sie in Anlehnung daran eine Nachricht vermitteln, um die Leute wachzurütteln? Funktioniert FÄULNIS vom Konzept her nur mit den passenden Texten oder wäre es egal, was du lyrisch von dir geben würdest?
Also wenn Du die Frage nicht selbst beantworten kannst, könnten wir das Gespräch auch hier beenden! Selbstverständlich sind mir meine Texte wichtig!!! FÄULNIS definiert sich zu einem überwiegenden Teil allein über meine Texte. Genau genommen sind sie das, was Du Anfangs die „Lebensberechtigung“ genannt hast. Nur dass sie keiner ließt, erkennt man ja spätestens daran, dass selbst in irgendwelchen dümmlichen CD-Kritiken mit Phrasen über Selbstmitleid und Suizid rumgeworfen wird. Und letzteres war nicht einmal in „Letharg“ das Thema und „Letharg“ war mit Sicherheit mein inhaltlich düsterstes Album. Manche verstehen halt nur, was sie gerne hören möchten. Ich will niemanden wachrütteln, dafür habe ich zu wenig zu sagen. Ich konnte nur das ganze aufgesetzte und lächerlich überzogene Geschnatter nicht mehr hören. Deshalb habe ich es mit dem direkten Weg über die platte Realität versucht – was erstaunlicherweise auch funktioniert, man mag es kaum glauben. Aber was wäre diese schnöde Welt ohne die ganzen Kvarforths, Lady Gagas, Kanwulfs und wie sie alle heißen. Zumindest langweiliger!
Am 27.11.2009 trat das früher undenkbare ein: FÄULNIS beehrten das erste Mal live, als Vorband der schwedischen melancholischen Black Rocker Lifelover (passender Kontrastname zu FÄULNIS übrigens), die Bühnen dieser Welt. Wie kam es zu diesem Sinneswandel und wie war das Gefühl deine Songs live zu präsentieren und die direkte Reaktion der Fans mitzubekommen?
Ich habe irgendwann nach der Veröffentlichung von „Gehirn...“ das Angebot bekommen, als Vorband von Lifelover zu spielen - die live übrigens sehr, sehr... sehr lächerlich waren, scheiß auf „mal was anderes“ nein, es war lächerlich, nicht ironisch, nein...lääächerlich! Ok, Neid war auch im Spiel, FÄULNIS hat entschieden weniger kleine Groupies! Kurzum, ich hatte schnell mein ursprüngliches nahezu-Wunsch-Line-up zusammen (einer war zwischenzeitlich verschieden), alles Menschen, mit denen ich musikalisch schon zu tun hatte, wenn es nicht ohnehin alles sehr gute Freunde waren/ sind, es gab mittlerweile auch genug Material für einen Auftritt und... es hat mich nun einmal gereizt. Auf der Bühne bekomme ich eigentlich nie viel mit von dem, was um mich herum passiert. Aus Erzählungen konnte ich aber heraushören, dass FÄULNIS live wohl ganz anständig war. Außerdem war es angenehm, mal mit „Fans“ direkt ein paar Worte zu wechseln.
Mit dem Kurzfilm „Letharg“ hattest du 2008 die Möglichkeit einen Teil deines Schaffens erstmalig audiovisuell umzusetzen. Die beklemmende und (be)drückende Atmosphäre des Songs wurde hier sehr gut eingefangen – welche Details dazu kannst du uns berichten? Wird es zukünftig eventuell eine neuerliche Zusammenarbeit mit dem Team geben?
Da FÄULNIS dieses Jahr auf Eis gelegt wird, wird es wohl zu keiner weiteren Zusammenarbeit mehr mir Harddrive kommen, es sei denn, wir setzen den Clip zu
„Landgang“ noch um, das weiß ich aber noch nicht. Details? Es war eine interessante Erfahrung, unter anderen Umständen hätte man für die Zukunft sicher sehr wertvolle Erkenntnisse mit in neue Projekte nehmen können.
Du stammst aus Hamburg – einer, global betrachtet, doch recht lebenswerten Stadt. Wie kommt es also, dass du mit deiner Musik derart negative Strahlungen aussenden kannst? Wie viel von deinem privaten Leben/Umfeld fließt in FÄULNIS mit ein und sind die unterschiedlichen Inspirationen mit ein Grund für die relative Wandelbarkeit deiner Werke?
Die Frage verstehe ich nicht. Mal davon abgesehen, dass es in unserer Gesellschaft ohnehin sehr dekadent ist, sich um allen möglichen Scheiß Gedanken zu machen, handelt FÄULNIS halt ausschließlich von meinen negativen EMOtionen. Ich könnte auch von den schönen Seiten des Lebens singen, die soll es tatsächlich geben, aber dann würde ich andere Musik machen. Inspiration ist zu nahezu 100% mein privates Leben/ Umfeld, ich ziehe lediglich das lebenswerte ab, um daraus der FÄULNISschen Intention nahe zu kommen, eben das lebensunwerte zu thematisieren.
Jemand, der sich dermaßen tief mit dunklen, depressiven und negativen Thematiken beschäftigt, muss doch einen Masterplan liefern können, wie man die Welt/Gesellschaft besser gestalten könnte – wie lautet er?
„Nimm Deine traurigen Lieder und schmeiß sie in den Mülleimer“
Der Titel des letzten Albums lautet „Gehirn zwischen Wahn und Sinn“. Wohin wird die Reise führen? Werden wir, wie viele vermuten, durch die gezielten Desinformationen der Medien, das Vorbeten falscher Lehren oder die paradoxe Isolation des Individuums durch die zunehmende Globalisierung (Virtuelle Kontakte werden schon wichtiger als physische …) zu stumpfsinnigen Geschöpfen, deren Hirne immer mehr Wahn anstatt Sinn hervorbringen?
Ich glaube nicht, dass der Mensch im Vergleich zu den letzten 2000 Jahren besonders schlecht oder gut dasteht. Es wird nur alles so verdammt unübersichtlich, schnelllebig und stressig. Im Grunde kann doch jeder selbst entscheiden, ob ihm 2000 Myspace-Freunde wichtiger sind als ein gemütlicher, aber profilierungsarmer Abend mit guten Freunden. Als ob wir heute von „denen da oben“ (wie man so schön sagt) mehr beschissen werden, als vor 1000 Jahren. Der Unterschied zu früher ist einfach, dass man heute glaubt, alles zu wissen, seinen eigenen realistischen Horizont also hoffnungslos überbewertet, weil man ja theoretisch alles Wissen irgendwo nachschlagen kann. Ich bin so schlecht in Prognosen, aber so wie ich das sehe, machen wir alle das Spiel hier noch ein paar hundert Jahre, irgendwann knallt es mal ordentlich und vielleicht geht dann alles wieder von vorn los. Eine viel wichtigere Frage wäre, was ich heute Abend essen soll!
Wie du selbst angedeutet hast und auch auf deiner myspace-Seite zu vernehmen ist, wird FÄULNIS Ende dieses Jahres vermutlich auf Eis gelegt werden. Einen längeren Auslandsaufenthalt deinerseits habe ich als einen Grund dafür in einem Medium gelesen… so Recht glauben will ich das nicht. Was steckt wirklich hinter dieser getroffenen Entscheidung – oder ist das alles doch noch nicht so ganz spruchreif?
Mit irgendwelchen Aufenthaltsorten, Job oder wasweißich was sich einige zusammenspinnen hat das alles nichts zu tun. Ich habe einfach die Schnauze voll und zumindest im Moment nichts mehr zu sagen. Nach „Gehirn...“ hatte ich auf einmal eine Phase totaler kreativer Leere, die einfach nicht stoppen wollte. Irgendwann merkte ich, dass es einfach nur noch zu einem Krampf wurde, sobald ich auch nur an FÄULNIS dachte. Vielleicht ist das normal nach sieben Jahren 24/7-FÄULNIS, vielleicht ist aber auch jetzt der beste Zeitpunkt aufzuhören. Ich mein, ich habe mit FÄULNIS 2003 bei null angefangen, mit nichts, keine Kontakte, keine Mitmusiker, ich konnte nicht mal meine Gitarre richtig halten. 2009 habe ich mit „Gehirn...“ ein Album veröffentlicht, welches in seiner, jetzt mit Abstand betrachtet, Zweischneidigkeit nichts anderes zulässt, als erst einmal inne zuhalten. Auf der einen Seite ist „Gehirn...“ das musikalisch gehaltvollste, was mir je gelungen ist, aber wenn ich ganz ehrlich bin und mal alles von FÄULNIS nebeneinander stelle, ist „Gehirn...“ auch das emotional abgeklärteste Album von allen. Es ist immer noch FÄULNIS, aber es ist gerade noch haarscharf an dem vorbeigeschlittert, was ich mit FÄULNIS nie sei wollte, nämlich einfach irgendeine Band, die ein gutes Album rausbringt. FÄULNIS steht zu nah vor der Gefahr, seine Ecken und Kanten zu verlieren. Man hat Fans, Aufmerksamkeit, FÄULNIS wird zur Band, man tritt plötzlich live auf... Irgendwie das, worauf jeder hinarbeitet, aber irgendwie passt das alles nicht zu
FÄULNIS.
„Endstation“ als Grande Finale der Trilogie hätte, wenn ich richtig liege, ursprünglich schon vor einiger Zeit veröffentlicht werden sollen. Welche Gründe gibt es für die lange Verzögerung und wird das Album vor dieser anvisierten Auszeit noch seine Finalisierung erfahren. Wenn ja, in welche Ecke wird die musikalische Ausrichtung tendieren?
Kein Kommentar. Solange ich nicht von einem Kometen erschlagen werde, ist vieles möglich.
Wie wirst du diese Auszeit nutzen? Wird es ein Fall in ein schwarzes Loch werden, der dich mit Leere erfüllt, oder hast du genügend anderweitige Ideen gesammelt, die du während dieser Phase umsetzen möchtest?
Ich habe mich längst an den Gedanken gewöhnt, angefangene Ideen und Songfragmente der FÄULNIS archiviert und muss sagen, es geht mir gut! Lange nicht mehr so kreativ gewesen. Ich mache definitiv weiter Musik, wenn auch definitiv erst einmal keinen Black Metal mehr. Wer mich dann irgendwann mal wiederfindet, darf mich behalten!
Über die Jahre hinweg sind in das Soloprojekt verstärkt „Einflüsse“ von anderen Mitstreitern erfolgt. Inwieweit sind diese Musiker am Entstehungsprozess der einzelnen Stücke involviert, oder agieren sie lediglich als Gastmusiker im Studio und auf der Bühne?
Letzteres! An das Songwriting oder gar Texteschreiben habe ich nie jemand herangelassen. Mein langjähriger Schlagzeuger ist für seine Parts selbst verantwortlich, von seinem Geschäft habe ich jenseits von „hier Blasts und da umta-umta“ keine Ahnung. P.H. hat allerdings einige wirklich gute Bassparts auf „Gehirn...“ beigesteuert.
Du bezeichnest deinen Stil selbst als „Sick Black Art“ – jetzt frage ich mal ganz
provokant: Ist es nicht ein wenig anmaßend sein Schaffen selbst als Kunst zu titulieren – müssten darüber nicht Außenstehende urteilen? Oder ist „Sick Black Art“ einfach ein bewusster Abgrenzungsversuch gegenüber den schon (zu) oft zitierten Genres Depressive Black Metal oder Suicide Black Metal mit denen FÄULNIS in Verbindung gebracht wird?
Wenn dann letzteres. Wer meine Interviews über die Jahre verfolgt hat, wird wissen, dass ich teilweise erpicht dabei bin, alles in Bezug auf FÄULNIS genau auszuformulieren und jedem Bruchteil und Staubkorn von FÄULNIS eine Bedeutung beimesse. Mit „Sick Black Art“ hast Du mich dann am Kragen. Die Bezeichnung war einfach irgendwann da, sie passte irgendwie und war auf jeden Fall besser als die aufgedrückten Alternativen. Und irgendwann hat sie sich über die Zeit gerechtfertigt, ohne dass ich noch groß über sie nachgedacht habe.
Die berühmten letzten Worte gebühren natürlich dir.
Wer FÄULNIS nochmal sehen will und/ oder auf dem Kneipenklo ein Kind von mir will:
16. Oktober 2010 Hamburg
23. Oktober 2010 Hannover
12. November 2010 Berlin
Danke für die Fragen!
Gelesen: 3441x (seit 05.08.2010)